FDP Eberswalde
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Profis und Kinder planen gemeinsam

In einer alternden Gesellschaft müssen gerade die Kommunen im ländlichen Raum um junge Familien mit Kindern kämpfen. Die brandenburgische Stadt Eberswalde stellt sich dieser Herausforderung und räumt der Kinder- und Familienfreundlichkeit als „weichen Standortfaktor“ einen besonderen Platz in der Kommunalpolitik ein. Dabei geht es jedoch nicht nur um den Bau neuer Spielplätze – die Verantwortlichen in Eberswalde gehen einen Schritt weiter und richten den Blick auf die gesamte Stadt als Spiel-, Erlebnis- und Erfahrungsraum für Kinder. Als ganzheitlicher Ansatz wird das Instrument der Spielleitplanung genutzt.

Spielleitplanung (SLP) wurde Ende 1999 als Planungsinstrument für die Kommunen im Land Rheinland-Pfalz entwickelt. Inzwischen verbreitet sich diese Idee in der ganzen Bundesrepublik. Hintergrund dieser Neuentwicklung war, dass es durch die fortschreitende Bebauung gerade in Städten immer weniger Freiflächen und Erlebnisräume zum Spielen und Verweilen für Kinder gibt. Stattdessen wurden Spielplätze geschaffen mit dem Charakter von Inseln geschaffen.
Die Spielleitplanung sollte dazu beitragen, das Spielen im Freien und das Erleben von Natur auch in Städten wieder zu ermöglichen und attraktiv zu gestalten. Gerade für Jugendliche sind Industriebrachen oder Baulücken interessante Treffpunkte, sie zu betreten ist jedoch meist illegal.
Bei der SLP handelt es sich um eine integrierte Planung mit mittel- bis langfristiger Ausrichtung und Wirkung. Nach der Verabschiedung durch die Gemeindevertretung, den Gemeinderat, die Stadtverordnetenversammlung oder den Stadtrat ist der Spielleitplan verbindlich. Bei der Entstehung der SLP werden die Kinder und Jugendlichen beteiligt, denn sie sind die Experten für ihre Bedürfnisse und Interessen.

Kinderhilfswerk mit eigenem Ansatz

Der Eberswalder Spielleitplan wurde innerhalb eines Jahres erstellt, die Vorarbeiten dazu liefen schon viel länger: Am Anfang stand im Jahr 2007 die Spielplatzkonzeption der Stadt. Diese stellte vor allem den Ist-Zustand sowie den rechnerischen Bedarf an Spielflächen dar. Das ebenfalls 2007 neu gegründete Kinder- und Jugendparlament (KJP) der Stadt Eberswalde beschäftigte sich auch mit diesem Thema. Außerdem wurde das Deutsche Kinderhilfswerk (DKHW) als Partner gewonnen. Das DKHW stellte dem Kinder- und Jugendparlament und der Stadtverwaltung zunächst seinen Ansatz einer Spielleitplanung unter dem Motto „Spiel! Platz ist überall“ vor. Das Kinder- und Jugendparlament wurde davon überzeugt; auf seine Initiative hin wurde ein entsprechender Beschlussantrag zur Aufstellung eines Spielleitplans als strategisches Planungsinstrument am 20. September 2007 in der Stadtverordnetenversammlung beschlossen. Die Stadt Eberswalde wurde dann als Modellkommune im Programm „Kinderfreundliche Stadtgestaltung“ des DKHW aufgenommen.

Ehrenamtliche Arbeit in der Arbeitsgruppe

Zunächst gab es eine ehrenamtliche Arbeitsgruppe (AG) zum Thema Spielleitplanung, die von der Stadtverwaltung und dem DKHW beraten wurde. In dieser Gruppe waren Bürger, das KJP und Schulen vertreten. Auch wenn Spielplätze nicht die einzigen Orte sind, an denen sich Kinder gern aufhalten, so sind sie doch sehr wichtig. Daher hatte sich die AG auch entschieden, zunächst die Spielplätze durch die Kinder bewerten zu lassen. So gingen Gruppen von Kindern zwischen sechs und zwölf Jahren auf die Spielplätze oder es wurden dort gerade spielende Kinder in die Umfrage einbezogen. Sie sollten einen Fragebogen ausfüllen und anschließend Spielgeräte mit verschiedenen Symbolen bewerten.
Dabei wurde festgestellt, dass die Spielplätze durch Zigarettenkippen, leere Bierflaschen und Hundekot verschmutzt waren. Als Reaktion darauf gestalteten die Kinder eigene Verbotsschilder, um auf diesen Missstand aufmerksam zu machen. Die Ergebnisse des gesamten Beteiligungsprojektes wurden durch die AG in einer Ausstellung zusammengefasst und der Öffentlichkeit präsentiert.
Allerdings zeigte dieses erste Beteiligungsprojekt auch, dass die komplette Begleitung der Spielleitplanung und die Erstellung des Spielleitplans nicht ehrenamtlich „nebenbei“ geleistet werden können. Dazu ist das Verfahren zu aufwendig. Es wurde deshalb ein erfahrenes Planungsbüro mit der Erarbeitung beauftragt.
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Professionelle Arbeit eines Planungsbüros

Im Mittelpunkt der Arbeit des Planungsbüros stand zunächst die „fachliche Bestandsaufnahme“. Diese stellte die Grundlage für die weitere Erarbeitung dar. Dabei geht es vor allem darum, herauszufinden, welche Orte und Flächen von Kindern und Jugendlichen überhaupt genutzt werden und eine Stärken-Schwächen-Analyse für jeden Stadtteil durchzuführen. Anschließend wurden verschiedene Beteiligungsprojekte gestartet.
Um weitere Partner zu gewinnen und um vorhandenes Fachwissen der Erwachsenen zu nutzen, gab es eine Trägerkonferenz. Hier kamen Akteure von Kindertagesstätten und Horten, Schulen, Jugendklubs, der ansässigen Hochschule, der „Bürgerstiftung Barnim Uckermark“ sowie des Kinder- und Jugendparlaments zusammen. Auch die Zielgruppe der Sechs- bis Zwanzigjährigen sollte beteiligt werden. Die Kinder und Jugendlichen wurden sowohl bei der Bestandsaufnahme als auch bei der Entwicklung von Zukunftsideen und Perspektiven integriert. Dazu wurden im Wesentlichen drei Instrumente genutzt: „Mental Maps“, Streifzüge und Zukunftswerkstätten.
Bei den „Mental Maps“ (kognitiven Karten) wurden Kinder mit Fragebögen und Karten direkt an den Schulen befragt. Dabei handelte es sich um offene Fragen, so dass die Kinder ausführlich ihre Meinungen, ihre Wünsche und ihre Situation beschreiben konnten. Auf der Karte sollten sie dann ihren Schulweg und ihre Lieblingsaufenthaltsorte einzeichnen – aber auch die aus ihrer Sicht gefährlichen Orte markieren.
Das zweite Beteiligungsinstrument waren die Streifzüge der Kinder und Jugendlichen. Sie legten selbst den Weg, das Ziel und den Ablauf fest und zeigten dabei den Erwachsenen, wo sie sich gern aufhalten, wo es Probleme bei der Überquerung einer Straße gibt oder an welchen Stellen sie sich mehr Aufenthaltsqualität wünschen. Die Streifzüge wurden in verschiedenen Stadtteilen mit jeweils einer kleinen Gruppe von Schülern unterschiedlicher Schulen durchgeführt.
Als Drittes wurden in Zukunftswerkstätten Ideen und Vorschläge von den Kindern und Jugendlichen entwickelt.
In einer solchen Planungswerkstatt haben Jugendliche eines Gymnasiums beispielsweise eine bisher nicht genutzte Grünfläche nach ihren Wünschen und Ansprüchen gestaltet. Dabei entstanden fünf Modelle für die konkrete Objektplanung. Während des Planungs- und Bauprozesses werden die Jugendlichen wieder mit einbezogen werden. An zwei Grundschulen haben die Kinder jeweils einen neuen Spielplatz in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft kreativ geplant und ebenfalls Modelle entwickelt.
Die verschiedenen Arbeitsschritte und Zwischenergebnisse wurden regelmäßig den Kommunalpolitikern in den zuständigen Fachausschüssen und der Öffentlichkeit in insgesamt drei Bürgerforen vorgestellt. Dabei ging es auch um die Vernetzung und die Suche nach Partnern, um die Ergebnisse zukünftig umzusetzen. Bereits während der Erarbeitung des Spielleitplans wurden einige Pilotprojekte unter der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen realisiert.
Durch diese Beteiligung lernen die Kinder und Jugendlichen Formen der direkten Demokratie kennen. Die Ergebnisse der drei Beteiligungsprojekte wurden mit der „fachlichen Bestandsaufnahme“ zusammengeführt und mit den städtischen Planungen abgeglichen. Daraus entstand ein Katalog von 13 Leitprojekten, die mittel- bis langfristig umgesetzt werden sollen.
Ergänzt werden diese Ergebnisse durch weitere Maßnahmen, beispielsweise in den Bereichen Verkehr, Spiel- und Sportflächen, Grünflächen und Freiräume. Dieser Spielleitplan inklusive Maßnahmenliste wurde dann von der Stadtverordnetenversammlung am 16. Dezember 2010 einstimmig beschlossen.
2 Seine Umsetzung sowie die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen muss als Daueraufgabe der Kommune, von Verwaltung wie Politik, gesehen werden. Der Spielleitplan sollte zukünftig als strategisches Instrument für Kinder- und Jugendinteressen bei allen kommunalen Planungen genutzt bzw. abgeglichen werden.

1Die folgende Beschreibung der Durchführung der Spielleitplanung entstammt dem Beispiel des Planungsbüros ARGE Integere/Stadt-Kinder, die in der Stadt Eberswalde von September 2009 bis Oktober 2010 einen Spielleitplan erstellten.

2Beschlussvorlage BV/471/2010 der Stadt Eberswalde
Martin Hoeck


1. November 2011

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